Irmgard & Ortrud:
Mädchen gegen Generäle!
NEIN zu falschen Helden!

„Im Ziele waren wir uns einig“ –
Informationsveranstaltung 22. Januar

Öffentliche Informationsveranstaltung
am Dienstag, 22. Januar, 19 Uhr
in der Aula des Maria-Wächtler-Gymnasiums, Rosastr. 75
(Nähe Von-Einem-Straße)

Über 120 Bürger nutzten die Gelegenheit, sich zu informieren. Hier finden Sie die Dokumentation dieser Veranstaltung.

Programm

Begrüßung und Eröffnung mit ...

  • Dorothea Hermann (Moderation)
  • Erdmuthe Dittmar (Anwohnerinitiative Irmgard und Ortrud)

Geschichtswissenschaftlicher Veranstaltungsteil mit ...

Stadtgesellschaftlicher Veranstaltungsteil: Stehtischgespräche mit ...

  • MdL Peter Weckmann: Die Bedeutung des historischen Erinnerns für die Eindämmung rechtsextremer Entwicklungen heute
  • Peter Mai, Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Münster: Der Münsteraner Straßenkonflikt und seine Analogien zu Essen
  • Vertreter/innen der Schülervertretung des Maria-Wächtler-Gymnasiums: Welche Bedeutung haben die Straßennamen für die jungen Essener/innen?
  • Dr. Sonja Clasen-Bonde/Dr. Thorsten Noack: Holocaust-Opfer der beiden Generals-Straßen und heutige Initiativen der Erinnerung von Anwohnern vor Ort

Rückblick eines Teilnehmers

„Im Ziele waren wir uns einig“ – die Generäle Hans von Seeckt und Karl von Einem, ihre Verstrickung in den Nationalsozialismus und ihre Beiträge zum Aufbau der deutschen Angriffsarmee

Nachlese zur öffentlichen Informationsveranstaltung der Initiative Irmgard und Ortrud am 22. Januar 2013

In der gut besetzten Aula des Maria-Wächtler-Gymnasiums unweit der Von-Seeckt Straße in Rüttenscheid konnten am 22. Januar rund 150 Bürgerinnen und Bürger den fachlich fundierten Versuch einer Versachlichung des andauernden symbolischen Straßen- und Geschichtskulturkampfs miterleben.

Knapp anderthalb Wochen vor dem Wahltermin des bezirklichen Bürgerbegehrens in Rüttenscheid, Bergerhausen, Stadtwald und Rellinghausen hatten das Netzwerk und die AnwohnerInnen-Initiative „Irmgard und Ortrud“ zur dieser Informationsveranstaltung eingeladen. In der Schulaula sollte anhand mehrerer historische Referate anerkannter Geschichtswissenschaftler mit nachprüfbaren Fakten und Bildmaterial die strittige Generalsdebatte beantwortet werden: schmücken besser republikfeindliche Generäle oder die Mädchennamen Irmgard und Ortrud zwei Rüttenscheider Straßen?

Pointiertes Einladungsplakat

Durchaus unsachliche, wenn nicht hysterische Reaktionen hatte es allerdings nicht zum Thema, sondern zum Einladungsplakat des Abends gegeben.

Auf einem Pressefoto von 1936 sind dort Adolf Hitler und Hans von Seeckt im freundschaftlichen Gespräch während eines Wehrmachtsmanövers zu sehen. Unter der Titelzeile eines von-Seeckt-Zitats „Im Ziele waren wir uns einig!“, das von Seeckt 1923 noch ergänzte mit dem Nachsatz „Nur der Weg war verschieden“, war für die Veranstaltung geworben worden.

Mit Hilfe dieses Zitats soll darauf hingewiesen werden, dass die auf dem Plakatfoto sichtbare Nähe Hans von Seeckts zu Hitler und dem Nationalsozialismus nicht nur beiläufiger, sondern auch inhaltlicher Natur war: Beide verfolgten das Ziel, die Weimarer Republik zu zerstören und ein national-autoritäres Staatsregime zu schaffen, die in der Hitler-Diktatur mündete; beide sahen im Aufbau einer effizienten Angriffsarmee die Grundlage einer aggressiven Eroberungspolitik, die im zerstörerischen Wirken der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verheerende Wirklichkeit erhielt. Wurden diese gemeinsamen Ziele 1923 noch auf unterschiedlichen Wegen verfolgt, gingen sie seit Beginn der 1930er-Jahre gemeinsame Wege - bis hin zum vertrauten Manöverbesuch.

Diese zwar pointierte, aber historisch-authentische Faktendarstellung empfanden die Befürworter der adlig-militärischen Straßenbenennung von 1937 als Drohung mit der „Nazi-Keule“und „verabscheuungswürdigen Vorstoß, ... dem Bürgerwillen die kalte Schulter zu zeigen“.

Insbesondere die von CDU, Essener Bürgerbündnis, Piratenpartei und FDP gestützte Initiative „ProVon“ für den Erhalt der Generalsnamen legte großen Wert darauf, dass sie auch selbst mit diesem Plakatmotiv in die braune Ecke gestellt würden. Etwas derartiges war jedoch weder in den Einladungsflugblättern noch im Plakattext zu lesen – ganz im Gegenteil betonte die Initiative Irmgard und Ortrud bereits vorab öffentlich, dass das Plakat nur die Nähe Hans von Seeckts zu Hitler belegen soll, jedoch nicht die Nähe gegenwärtiger Personen zum rechten Gedankengut.

Andererseits betonte der Initiativensprecher und frühere NRZ Chefredakteur Richard Kiessler in einem Zeitungsinterview: „Für uns sind diese Männer keine Helden und sie sind auch nicht verehrungswürdig. Sie sind uns im Grunde genommen egal.“

Wer nur darauf besteht, dass alles bleibt, wie es ist und sich so einer historisch-moralischen Bewertung der Taten der Generäle entzieht, mit dem kann natürlich auch keine Auseinandersetzung über die fatale Vorbildfunktion dieser Militärs in den zwölf Jahren der nationalsozialistischen Diktatur erfolgen.

Diese undurchsichtige Frontlinie führte leider dazu, dass die Vorträge zur Lebensgeschichte der Generäle, wie auch zur Vergangenheit der Von-Einem-/Ortrud-Straße und der Von-Seeckt/Irmgard-Straße unter dem NSDASP-Regime nur von recht wenigen „ProVon-Anhängern“ gehört wurden. Eine kritische Diskussion mit diesen Teilnehmern konnte nach den Vorträgen zum Glück doch noch entstehen.

Anwohnerinitiative stellt historische Fachkompetenz auf die Bühne

Für die inhaltliche Basis hatte die Anwohnerinitiative „Ortrud und Irmgard“ ansehnliche und hörenswerte Programmpunkte zusammen gestellt, die von Dorothea Hermann moderiert wurden. Erdmuthe Dittmar, selbst langjährige Anwohnerin und Mitbegründerin der Initiative „Irmgard und Ortrud“, beschrieb als erstes ihre Beweggründe zum Einsatz für die Rückbenennung der Straßen.

Ein Kernpunkt des Abends wurde dann der mit viel Beifall bedachte Vortrag von Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann, Soziologe und Jurist, emeritierter Professor der Universität Bremen, ausgewiesener Experte zu General von Einem: „Karl von Einem als Repräsentant des preußisch-deutschen Militarismus“. Von der letzten Jahrhundertwende in afrikanischen Kolonialkriegen, über die deutschen Gasangriffe des ersten Weltkriegs, die Dolchstoßlegende vom Kriegsende im November 1918, bis hin zur Zerstörung der Weimarer Republik und zum Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 – Karl von Einem erwies sich immer als effektiver Motor auf Seiten deutscher Eroberungspolitiker.

Der geschichtswissenschaftliche Veranstaltungsteil wurde mit einem Grußwort von Prof. Dr. Frank Becker, Geschichtswissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen, geschlossen, der dem Vorhaben guten Erfolg wünschte.

Auch Wilfried Sauter, Historiker aus Essen, hatte seinen Vortrag „General von Seeckt – sein Handeln und seine Ziele in der Weimarer Republik sowie sein Verhältnis zu Hitler und zum Nationalsozialismus“ mit zahllosen Belegstellen aus von Seeckts Biographie wie auch anderen öffentlichen Quellen versehen.

Nach diesen datenschweren Blicken in die Vergangenheit ging der Beitrag des örtlichen SPD-Landtagsabgeordneten Peter Weckmann auf die Bedeutung des historischen Erinnerns für die Eindämmung rechtsextremer Entwicklungen heute ein. Nicht zum Ruhme Essens sind wir ja eine Großstadt, die sich jetzt mit einer NPD-Landeszentrale und einen gleich gestrickten Ratsherrn abplagen muss.

Der Münsteraner Straßenkonflikt und seine Analogien zu Essen

Peter Mai, Vorsitzender des DGB-Stadtverbandes Münster, der im Konflikt um die Umbenennung des Münsteraner Hindenburgplatzes in Schlossplatz einige Erfahrung sammeln durfte, gab nützliche Tipps, wie ein Umbenennungskonflikt und Bürgerentscheid auch erfolgreich gegen Demokratiezerstörer enden kann.

Schließlich war es auch ein äußerst erfreuliches Erlebnis, jeweils eine Schülerin und einen Schüler der Schülervertretung des Maria-Wächtler-Gymnasiums auf der Bühne zu hören, die sich ebenfalls mit den Hintergründen der Straßenbezeichnungen ihres Schulviertels befasst hatten. Ihnen zumindest war die inhaltliche Bedeutung der Straßennamen im Umfeld nicht gleichgültig. Diesen jungen EssenerInnen ging es tatsächlich nicht bloß um einen vordergründig schönen blaublütigen Klang dieser Namen.

Heute Parkplatz, früher „Judenhaus“ im Stadtteil

Zum Abschluss wurde auf ein erschreckendes Ergebnis der vielen Recherchen, die dieser „Straßenkampf“ ausgelöste, hingewiesen:

Dr. Sonja Clasen-Bonde und Dr. Thorsten Noack hatten eher am Rande eines kleinen Sommerfestes an der von Seeckt/von Einem Straße erfahren, dass hier an Stelle des heutigen Parkplatzes in der NS-Zeit mehrere sogenannte „Judenhäuser“ standen. Diese „Judenhäuser“ waren einzelne Mietshäuser, in die Essener Juden vor ihrer endgültigen Deportation in Konzentrationslager zusammengepfercht leben mussten, nachdem man sie aus ihren alten Wohnungen herausgedrängt hatte. Einzelne ältere Nachbarn erinnerten sich allerdings auch noch an Geschichten, wie Juden und andere Einwohner im Viertel vor der NS-Diktatur durchaus freundlich und friedlich zusammengelebt hätten.

„Muss nicht die Krupp Straße dann erst recht weg?“

Daraufhin begann der Teil des Abends, der Nachfragen, Kritik und Diskussion gewidmet war und in dem sich auch Gegner der Rückbenennung zu Word meldeten. Natürlich fragten hier Besucher nach den vermeintlich hohen Kosten und ob nach dem Wunsch der Initiative nicht doch auch viele, viele weitere Straßen wie die Kruppstraße oder Richard-Wagner-Straße umbenannt werden müssten. Auch der Vorwurf, „ProVon“-Anhänger würden ungerechtfertigt in die rechte Ecke gestellt, wurde diskutiert. Hiervon distanzierte sich die Initiative Irmgard&Ortrud erneut deutlich.

Wahrscheinlich konnte die Veranstaltung bei diesen Zuhörern noch keinen Meinungsumschwung in Richtung der von der Bezirksvertretung beschlossenen Mädchennamen Ortrud und Irmgard bewirken. Es besteht aber die ernsthafte Hoffnung, die weiteren Debatten im Namensstreit jetzt auf einen höheren sachlichen Niveau führen zu können.

Wir erwarten also immer gespannter des Ergebnis im Rüttenscheider Kulturkampf um die Generäle Karl von Einem und Hans von Seeckt. Am Abend des 3. Februar 2013, wenn alle BürgerInnen im Stadtbezirk II mit einem Bürgerentscheid selbst wählen dürfen, ob sie Demokratie-feindliche Militärs und Politiker weiter auf ihren Straßenschildern dulden wollen, wissen wir mehr – vermutlich ab 19.00 Uhr.

(Walter Wandtke)