Resolution
Das Netzwerk "Irmgard und Ortrud" setzt sich für die Rückbenennung der Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße ein.
Es handelt auf Basis dieser Resolution:
RESOLUTION
des Netzwerkes Irmgard und Ortrud
zur Straßenrückbenennung Von-Seeckt-Straße/Von-Einem-Straße
Auf ihrer Sitzung am 24. Mai 2012 beschloss die Bezirksvertretung II, die Von-Seeckt-Straße
sowie die Von-Einem-Straße auf ihre ursprünglichen Namen Irmgardstraße und Ortrudstraße
rückzubenennen. Das Netzwerk "Irmgard und Ortrud", das aus Anwohner/innen der beiden
Straßen sowie vielen Organisationen und Personen Essens besteht, unterstützt diese
Straßenumbenennungen. Es wird öffentlich, aktiv und auch innerhalb eines möglichen
Bürgerentscheides gemeinsam für folgende Punkte einstehen:
1. Von Einem und Von Seeckt sind keine verehrungswürdigen Vorbilder!
Der ehemalige preußische Kriegsminister Karl von Einem war Anfang des 20. Jahrhunderts in
politisch verantwortlicher Stellung am deutschen Völkermord an den Hereros und Nama im
heutigen Namibia beteiligt. Im Reichstag forderte er öffentlich die "Vernichtung" der in der
Reichswehr dienenden Homosexuellen. Im internen Gespräch äußerte er antisemitische
Haltungen.
Hans von Seeckt, zwischen 1920 und 1926 Chef der Heeresleitung und
Vordenker einer für den Angriffskrieg konzipierten Reichswehr, propagierte im
revanchistischen Sinne ein "Verschwinden Polens" von der Landkarte, weil die polnische
Existenz "unerträglich" sei.
Von Einem und von Seeckt bekämpften als aktive Gegner die liberaldemokratische
Verfassung der Weimarer Republik. Beide Generäle verfochten als Teil der deutschen
Militärelite ein national-autoritäres Staatsregime, das von der Reichswehr getragen und von
den Nationalsozialisten gestützt werden sollte. Auch durch die Einflussnahme von Einems
und von Seeckts wurde Hitler am 30. Januar 1933 die Macht im Staat übertragen. Es war u.a.
die autoritätsgläubige und ausgrenzende Einstellung preußischer Militärs wie von Einem und
von Seeckt, die Deutschland in zwei Weltkriege führte und wichtige Vorbedingungen für das
menschenverachtende Herrschaftssystem des Nationalsozialismus lieferte, das der Welt nie
da gewesenes Leid und Grauen brachte.
Geistig-politische Wegbereiter der Nationalsozialisten können keine Vorbilder für unser
jetziges freiheitlich-demokratisches System auf der Grundlage des Grundgesetzes sein.
Gerade in Zeiten, in denen angesichts der NSU-Morde in Deutschland wieder Menschen
durch Rechtsextremisten zu Tode kommen können, darf es auch bei uns in Essen
keinen Platz für die Erinnerung oder gar Verehrung von Antidemokraten,
Gesinnungsgenossen und Unterstützern des Nationalsozialismus geben.
2. Die nationalsozialistische Straßenbenennung von 1937 als propagandistischer Willkürakt!
Aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung bei der Machtübernahme und Machtsicherung Hitlers,
richteten die nationalsozialistischen Machthaber nach ihrem jeweiligen Tod pompöse
Staatsakte aus, die Teil eines ideologischen Begleitprogramms für den anvisierten nächsten
Krieg waren. In diesem Geist benannte der nationalsozialistische Oberbürgermeister Essens,
Justus Dillgardt, im Jahr 1937 durch willkürlichen Verwaltungsakt und ohne Beteiligung des
Stadtrates die im Rüttenscheider Mädchenviertel befindlichen Straßen Irmgardstraße und
Ortrudstraße nach den verstorbenen Generälen Von Einem und Von Seeckt um.
Einer demokratischen, friedfertigen und weltoffenen Stadt wie Essen steht es gut zu
Gesicht, den propagandistischen Willkürakt der nationalsozialistischen Machthaber
nicht in unsere Gegenwart und Zukunft zu verlängern und damit ein klares Zeichen
gegen Militarismus, Chauvinismus und Autoritätsgläubigkeit zu setzen.
3. Nicht die erste Initiative zur Umbenennung der beiden Straßen - Gesprächsbereitschaft bleibt!
Seit Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gab es vielfältige Anläufe und Versuche, die
beiden Straßen rückzubenennen. Doch trotz entsprechender Umbenennungsanweisungen
staatlicher Stellen und verschiedenster Umbenennungsinitiativen aus der Bürgerschaft, die in
den letzten Jahrzehnten auf vielfältige Weise auf die geschichtsproblematische Benennung
der beiden Straßen aufmerksam machten, blieben die Straßen weiter nach den beiden
Generälen benannt.
Jetzt ist die Zeit reif, die Straßen so zu benennen,
dass sie in unser heutiges freiheitlich-demokratisches Gesellschaftssystem hineinpassen.
Dies kann mit einem Rückgriff auf
die historischen Straßenbezeichnungen nach den Mädchennamen Irmgard und Ortrud
oder durch andere passende Namen geschehen, die z.B. innerhalb eines
bürgerbeteiligenden Verfahrens durch die Bezirkvertretung II bestimmt werden. Denn
die verschiedensten Umbenennungsinitiativen der letzten Jahrzehnte zeigen: Nur eine
Veränderung der Straßennamen wird zu einer Befriedung des seit mehr als 20 Jahren
andauernden Konflikts über die Benennung der beiden Straßen führen!
4. Begrenzter Umstellungsaufwand für die Anwohner/innen!
Es ist uns bewusst, dass die Anwohnerinnen und Anwohner beider Straßen aufgrund der
Umbenennungen Änderungsaufwände haben werden. Allerdings halten wir - wie viele
Anwohner/innen auch - den Umstellungsaufwand für begrenzt und vertretbar, da die Stadt
Essen fast alle Änderungsleistungen für die Anwohner/innen kostenlos
übernehmen und für
die Straßenumbenennungen eine längere Übergangsfrist gewähren wird.
In Anbetracht der historischen und politischen Bedeutung der Straßenumbenennungen
halten wir den begrenzten Umstellungsaufwand für die Anwohner/innen für vertretbar.
Wir, ein Netzwerk von Anwohnern/innen der beiden Straßen sowie vielen Organisationen und
Personen in Essen, unterstützen den sachlich begründeten Beschluss der Bezirksvertretung II
nach Umbenennung der Von-Seeckt-Straße und der Von-Einem-Straße und halten die
ehrende Erinnerung an diese beiden Personen in unserer demokratischen und weltoffenen
Stadt für unangemessen und untragbar.
Unser Ziel ist es, die Bürgerinnen und Bürger über die historisch problematische Bedeutung
der beiden Namensgeber sowie die nationalsozialistische Straßenbenennung von 1937
sachlich aufzuklären und zu diesem Zweck möglichst viele Menschen und Organisationen
aller gesellschaftlichen Milieus und Schichten Essens unabhängig von ihrer
Parteizugehörigkeit zu einem breiten Bündnis von Demokraten für die beschlossene
Straßenumbenennung zu gewinnen und in das Netzwerk einzuladen.
Wir laden alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtbezirks II Rüttenscheid, Bergerhausen,
Rellinghausen, Stadtwald ein, sich unserem Anliegen anzuschließen und bei einem
eventuellen Bürgerentscheid mit NEIN zu stimmen!
Keine skandalträchtigen Straßennamen
von Nazi-Unterstützern in Rüttenscheid!
Nein zu falschen Helden!
Für ein friedfertiges und weltoffenes Essen!
Quellen und Verweise
- Vgl. Expertisen von
Prof. Dr. Dr. Rüdiger Lautmann (Universität Bremen) v. 12.10.2010 und
Prof. Dr. Günther van Norden
(Universität Wuppertal) vom 01.08.2011
zur geschichtswissenschaftlichen Bewertung von General Karl von Einem (1853-1934).
- Vgl. die Russland-Denkschrift von Seeckts von 1922.
- Vgl. den vom Essener Stadtarchivar Dr. Klaus Wisotzky formulierten Text des Mahnsteins an der
Von-Einem-Straße/Von-Seeckt-Straße,
der von allen Fraktionen und Mitgliedern der Bezirksvertretung II beschlossen und am 14.03.2008 eingeweiht wurde.
- Vgl. Kolb, Eberhard (2009): Die Weimarer Republik (Oldenbourg Grundriss der Geschichte).
- Vgl. Essener Allgemeine Zeitung v. 11.04.1934 und v. 28.12.1936.
- Vgl. Verfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Essen v. 20.11.1937, St.A. 61-S.B. 487,
in der von "begründeten Ehrungen
verdienter Persönlichkeiten" gesprochen wird. Jedoch sind in den amtlichen Unterlagen keine sachlichen Begründungen auffindbar.
-
Gemäß Anweisung 30 des Alliierten Kontrollrates vom 13.05.1946 hatten die Städte und Gemeinden in
Deutschland alle Straßennamen zu ändern, "die geeignet sind, die deutsche militärische Tradition
zu bewahren und lebendig zu erhalten, den Militarismus wieder zu erwecken, an die Nazi-Partei zu erinnern oder
kriegerische Ereignisse zu verherrlichen". Mit Bezug auf die Von-Seeckt-Straße sowie die Von-Einem-Straße
befand dazu der Essener Straßennamenhistoriker Erwin Dickhoff in Einem Beitrag von 1986: "Als eindeutig
militaristisch im Sinne der späteren Kontrollratsverordnung dürften die Benennungen nach den Generalobersten
Hans von Seeckt und Karl von Einem zu klassifizieren sein, wofür die Irmgardstraße und die Ortrudstraße
in Anspruch genommen wurden." (vgl. Dickhoffs Beitrag 'Die Entnazifizierung und Entmilitarisierung der
Straßennamen' in den Beiträgen zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 1986/87 (H.101), 77-104, S. 83).
Trotz diverser Aufforderungen seitens der britischen Militärbehörde, des Innenministers NRW sowie des
zuständigen Regierungspräsidenten auf Vollzug der Umbenennungsanweisung, setzte die Stadt Essen die
Vorgaben zur Entmilitarisierung der Straßennamen widerrechtlich nicht um (vgl. ebd., S. 89 f.).
- Nach Angaben der Stadt Essen werden Änderungen in Personalausweisen, Grundbüchern und
anderen Verzeichnissen kostenlos vorgenommen.
Nur für die Adressänderung in Fahrzeugscheinen würde eine Gebühr von 11€ entrichtet werden müssen.
|